Palantir – Big Data for Big Brother

Bild: Freepik/Liberty Labs
Der US-Technologiekonzern Palantir ist wahrscheinlich eines der umstrittensten Unternehmen des Silicon Valley. Der Begriff Palantir stammt aus J.R.R. Tolkiens Romanwelt „Herr der Ringe”. Die Palantiri sind unzerstörbare, allsehende Kristallkugeln, mit denen der Zauberer Saruman Mittelerde sehen und überwachen kann. Die Palantir-Niederlassungen wurden oftmals auch nach Orten aus der Herr-der-Ringe-Mythologie benannt. Palantirs Hauptplattformen für Analysesoftware tragen dagegen die Namen zweier Städte aus dem DC-Comic-Universum: Palantir Gotham und Palantir Metropolis. Das Unternehmenskredo lautet „AI-Powered Automation for Every Decision“, auf deutsch „KI-gestützte Automatisierung für jede Entscheidung“. Das alles klingt hip und cool und Palantir könnte fälschlicherweise als bloßes Technologieunternehmen angesehen werden, doch es ist weit mehr als das. Laut Einschätzung der US-Bürgerrechtsvereinigung ACLU ist es eines der Schlüsselunternehmen in der Überwachungsindustrie. Tatsächlich ist es die größte kommerzielle Überwachungsfirma der Welt.
Die Gründung des Unternehmens war kein amerikanischer Startup-Garagen-Traum. Der US-Milliardär Peter Thiel, der bereits den Online-Bezahldienst Paypal mitgegründet hatte, rief die Firma im Jahr 2004 mit finanzieller Unterstützung von u.a. In-Q-Tel, dem Wagniskapitalzweig des US-Geheimdienstes CIA, ins Leben. Die Kundenliste Palantirs enthält die Schwergewichte der US-Militär- und Sicherheitsbürokratie: CIA, FBI, NSA, Pentagon, Marines und Airforce. Mit anderen Worten: Palantir ist tief in dem militärisch-digitalen Komplex der USA verwurzelt und das Geschäftsmodell heißt: Big Data for Big Brother. Peter Thiel sitzt zudem im Aufsichtsrat von Facebook und hat Donald Trumps Wahlkampf finanziell unterstützt.
Palantir wurde gegründet, um Daten zu bündeln, Feinde zu identifizieren und Interessen zu sichern. Palantir war von Anfang an kein ziviles Produkt, sondern ein Kriegswerkzeug. Dahinter steht die Idee, verstreute Datenquellen aus militärischen Funkverbindungen, Aufklärungsberichten, biometrischen Datenbanken und Geheimdienstanalysen zusammenzuführen, zu verknüpfen und daraus Muster zu erkennen. Muster von Bewegungen, Kontakten und Gewohnheiten. Aus Mustern werden Ziele und aus Zielen Tote. Palantir nennt das Datenintegration. Die Armee spricht von einem Force Multiplier. Was tatsächlich entstand, war die algorithmisch gestützte Exekution, eine Killchain, eine Kette, die angeordnet wurde, um Menschen effektiv zu eliminieren. Vom Sensor zur Zielauswahl, vom Analysten zum Drohnenpiloten. Alles digital, alles optimiert, alles scheinbar objektiv.
Die Schlachtfelder des Nahen Ostens wurden zum erfolgreichen Einsatztest. Es ging um Netzwerkanalyse, um die Verknüpfung sozialer Beziehungen. Die Zielperson musste nichts getan haben, nur zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Wer einem bestimmten Menschen auf Facebook folgte, der eine Bedrohung für das System darstellte, wurde analysiert. Wer zu oft an einem bestimmten Ort gesehen wurde, ebenfalls. Wer einen Bruder hatte, der bei einem Familienfest mit einem Verdächtigen sprach, landete gegebenenfalls in der Datenbank und wurde mit etwas Pech ebenso eliminiert. Es war kein Mensch, der entschied, sondern ein KI-Modell von Palantir. Eine digitale Bewertung reichte aus, um Menschen verschwinden zu lassen. Und genau das ist der Wendepunkt in der modernen Kriegsführung. Der Feind wird nicht mehr erkannt, sondern berechnet. Kein konkreter Verdacht, keine juristische Grundlage, nur das algorithmische Echo einer potentiellen Abweichung. Kontrolle durch Daten ist wirksamer als Kontrolle durch Truppen. In Natostrukturen wird Palantier genutzt zur Lagebilddarstellung, Truppenkoordination, Zielerkennung, kurz zur Echtzeitsteuerung von Krieg. Nicht derjenige mit den meisten Soldaten gewinnt, sondern derjenige mit der schnellsten Auswertung.
In der Ukraine liefert Palantir Echtzeitdaten für die Kriegsführung. Der Informationskrieg ist längst Realität und wird immer weiter gegen die Menschen selbst gerichtet. Systeme, die nicht nur überwachen, sondern töten. Nicht hypothetisch, nicht in ferner Zukunft, sondern real, konkret und einsatzbereit. Die Projekte tragen Namen wie TITAN (Tactical Intelligence Targeting Access Node) und MAVEN Smart System. Was klingt wie harmlose Innovationsprojekte, sind in Wahrheit die Vorstufen einer neuen Kriegsführung. Autonom, präzise und skrupellos. TITAN etwa ist ein KI-gestütztes Gefechtsfahrzeug, das in Echtzeit Datenströme auswertet, Bedrohung klassifiziert und Entscheidungen trifft ohne menschliches Zögern. Maven, ein Joint Venture zwischen Palantir und dem Pentagon, analysiert Drohnenaufnahmen, identifiziert Ziele anhand von Bewegungsmustern, Verhaltensprofilen und Signaturen und leitet daraus Angriffsbefehle ab. Die finale Entscheidung, ob ein Mensch lebt oder stirbt, fällt nicht mehr auf der Grundlage menschlicher Einschätzung, sondern auf Basis algorithmischer Bewertung.
Was als Kriegssoftware begann, kehrt zurück als zivile Sicherheitslösung. Der Prototyp aus dem Schlachtfeld hat unser Wohnzimmer erreicht. Was einst im Sand getestet wurde und Menschenleben kostete, liegt heute auf dem Tisch westlicher Innenministerien als Produkt, als Lösung, als alternativlose Infrastruktur. Der Krieg hat seinen Namen gewechselt. Er heißt nun innere Sicherheit. Das staatliche Gesundheitssystem Großbritanniens NHS unterzeichnete 2023 einen Vertrag über 480 Millionen Pfund mit Palantir zwecks Aufbau der Federated Data Platform. Eine Plattform zur Verknüpfung klinischer, administrativer und operativer Daten. Diagnosen, Aufenthaltsorte, Medikation, psychische Belastung, alles eingespeist in einer Blackbox amerikanischer Herkunft. Der Staat agiert dabei wie ein digitaler Kolonialverwalter, liefert Daten, übernimmt die US-Software, folgt fremder Logik.
Die Integration von Palantir erfolgte in Deutschland fast in aller Stille. Statt über klassische Ausschreibungsverfahren wurde die Einführung von Palantirs Plattformen in mehreren Bundesländern über sogenannte Direktvergaben oder Notfallverträge durchgesetzt. Ein Verfahren, das demokratische Kontrolle und kritische Öffentlichkeit systematisch umgeht. Die Folgen sind tiefgreifend. Wo früher Datenschutz ein Grundrecht war, ist heute eine Fußnote in der Lizenzvereinbarung. Wo früher polizeiliche Ermessungsspielräume galten, herrschen nun Datenmodelle. Die Privatsphäre ist kein Schutzraum mehr, sie ist ein Hindernis. Die Freiheit ist kein Wert, sondern eine Abweichung.
Der Bundesrat forderte im März 2025 in einem Entschließungsantrag eine „kurzfristige zentrale Bereitstellung einer gemeinsam betriebenen Datenanalyseplattform, wie sie bei einigen Landespolizeien im Einsatz ist“. Auch wenn Palantir nicht explizit genannt wird, deutet der Antrag klar darauf hin, dass die in Bayern entwickelte „verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform“ (VeRA) bundesweit als Interimslösung eingesetzt werden soll. VeRA basiert – so wie die Lösung HessenData und das immer kostspieliger werdende System zur datenbankübergreifenden Analyse und Auswertung (DAR) der Polizei Nordrhein-Westfalen (NRW), auf den Technologien Palantirs. Was die Behörden in Deutschland installieren, ist ein Vertrauensbruch als System, ein Import ideologischer Infrastruktur unter dem Vorwand der Modernisierung. Gefördert mit Mitteln für digitale Polizeiarbeit, legitimiert durch die üblichen Schlagwörter Terrorabwehr, Kindesmissbrauch und Prävention. Offiziell soll das natürlich nur die Polizeiarbeit verbessern.
Palantir zapft alle nur erdenklichen Datenquellen an. Von den Überwachungssystemen der Smart Cities über Google Bewegungsdaten und Social-Media-Profilen bis hin zu behördlichen Ermittlungsakten. Palantir nutzt auch die Schnittstellen, die moderne Systeme wie Android, iOS, Windows, MacOS über deren Telemetrie und Tracking durch Drittanbieter-Apps bereitstellen und verbaute Mikroprozessoren, die über Hintertüren mit Palantir kommunizieren können. Ob Smartphone oder Server, sobald ein Gerät mit Netzwerken, Clouddiensten oder Behörden kommuniziert, wird es Teil des Palantirnetzwerks. Das Ziel ist nicht die Hardware, sondern der Mensch dahinter und er wird digital seziert, bewertet und klassifiziert. Den meisten Menschen ist das nicht bewusst und viele derjenigen, die es wissen, schauen weg, solange man selbst nicht betroffen ist. Doch das wird sich schlagartig ändern, sobald das US-Unternehmen Palantir sein volles Potenzial entfaltet und mit allen Behörden, Verwaltung und Datenbanken des Landes verschmilzt. Jeder, der glaubt, als Unschuldiger nichts zu befürchten zu haben, hat das System nicht verstanden, denn Unschuld ist kein feststehender Zustand mehr, sondern eine digitale Bewertung, die in Echtzeit jederzeit kippen kann. Spätestens dann, wenn du dich dem herrschenden Regime widersetzt oder es kritisierst. Der Satz „Ich habe nichts zu verbergen“ ist obsolet, denn du kannst nichts mehr verbergen.
Alles wird überwacht und bewertet mit wem du dich wo triffst, wo und was du einkaufst, welche Medikamente du nimmst, deine Therapieverläufe und Arztgespräche, welches Konzert du besucht hast, welche Lieder du hörst, welche Bücher du liest und vor allem, wie du zu manipulieren bist. Mit Palantir wird der Mensch zur Datei, zum digitalen Profil, das sich selbst verrät in Echtzeit, im Dienste eines Systems, das Freiheit wie ein Abo verwaltet, kündbar bei Fehlverhalten. Sie nennen es Freiheit, doch es ist ein Hightech-Gulag im Stil von George Orwells 1984. Nur nicht in schwarz-weiß, sondern in Farbe und vor deinen Augen. Einwohnermeldedaten, Aufenthaltsorte, Telekommunikation, soziale Medien, Ermittlungsakten, alles wird verknüpft, ausgewertet und klassifiziert und kann gegen die Menschen eingesetzt werden. Mit immer mehr Daten, mit neuen Sensoren, wächst die Fähigkeit zur totalen Prognose. Was du morgen denkst, glaubt das System heute schon zu wissen. Und weil es glaubt, es wüste es, handelt es bereits, es klassifiziert, es warnt und schlägt Alarm. Die Zukunft wird vorweggenommen und du wirst verurteilt, bevor du je Gelegenheit hattest, ein Täter zu werden, ganz wie in dem Film Minority Report.
Was folgt, ist kein Fortschritt. Es ist ein minutiös geplanter Systemwechsel, ein großer Reset, um die Agenda 2030 im vollen Umfang umsetzen zu können. Digitale Identitäten, elektronische Patientenakten, Sozialkreditsysteme, total überwachtes Zentralbankgeld, optimierte Lebensführung und CO2 Budgets. Gefüttert mit jeder deiner Entscheidungen, Bewegungen, Vorlieben und Schwächen und hinterlegt mit Wahrscheinlichkeitsanalysen und Risikofaktoren. Wie kriminell du sein könntest, wie loyal du dem Staat bist und ob du vielleicht eines Tages auf die Idee kommen könntest, deine Regierung nicht mehr ausreichend zu respektieren. All das wird von dem Algorithmus ausgewertet und wenn das System eine Abweichung misst, leitet es automatisch alles notwendige ein. Präventiv, effizient und gnadenlos. Wer sich nicht anpasst, wird digital eliminiert, kaltgestellt per Palantir-Profiling. Der Rest darf sein algorithmisch genehmigtes Dasein in sogenannten 15 Minuten Städten fristen. In Wahrheit glänzend verpackte Hochsicherheitsgefängnisse mit Gesichtserkennung und Verhaltensanalysen in Echtzeit.
Diese Form der Steuerung ist die absolute Perversion. Sie basiert nicht auf dem, was ist, sondern auf dem, was sein könnte. Es ist nicht mehr das Gesetz, das dich angeblich schützt. Es ist der Algorithmus, der sofort in Echtzeit urteilt und das Urteil basiert auf Daten, auf Modellen, die nicht transparent, nicht verhandelbar, nicht menschlich sind. Palantir nennt das verknüpfte Sicherheit und intelligente Steuerung. Die Polizei der Zukunft braucht keine Sirenen mehr. Sie braucht nur Signale. Kein Täter muss handeln. Die Maschine hat längst entschieden. Was früher staatliche Aufgabe war, Sicherheit, Ordnung, Entscheidung, wird heute an eine private US-Firma delegiert mit direkten Zugriffen auf kritische Infrastrukturen, Kommunikationsflüsse, Gesundheitsdaten, Bewegungsmuster. Statt öffentlicher Kontrolle herrscht Vertragsgeheimnis. Statt Verantwortlichkeit gibt es AGBs.
Wenn Staaten ihre Sicherheitsarchitektur auf Software wie Palantir aufbauen, verlieren sie ihre Unabhängigkeit und schaffen ein Machtvakuum, das sofort neu besetzt wird von Interessen, die niemand gewählt hat. Palantir durchdringt westliche Machtstrukturen wie Metastasen. Überall dort, wo Kontrolle und Entscheidung ineinander greifen, sitzt heute mindestens ein Palantirsystem. Und mit jedem weiteren Update verlieren sowohl Menschen als auch ganze Staaten ein zusätzliches Stück ihrer Souveränität. Dieses System wird immer weiter gefüllt von Algorithmen, von Interessen von Investoren, denn Palantir gehört niemanden, der gewählt wurde. Es gehört jenen, die sich Anteile leisten können und deren Interesse ist nicht Gerechtigkeit oder Freiheit, sondern Rendite, Ordnung und Kontrolle.
Weblinks und Quellen:
https://www.datenschutz.org/umstrittene-palantir-software-dobrindt-prueft-einsatz-auf-bundesebene/
https://www.palantir.com/offerings/defense/titan
https://svantek.com/de/produkte/sv-307a-laermueberwachungsstation
https://www.opendemocracy.net/en/palantir-nhs-federated-data-platform-peter-thiel-data-privacy
https://en.wikipedia.org/wiki/Minority_Report_(film)
„Kulturzeit“ vom 03.06.2024: „Watching You“ – Doku über die Firma Palantir | 3sat